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cdgw unterwegs 2015

Ein Besuch auf den Bonner Venusberg lohnt sich. Eindrucksvoll erstreckt sich dort der Campus des Universitätsklinikums Bonn. Dazu zählen 31 Fachkliniken und 21 Institute für Diagnose und Forschung sowie 4.500 Mitarbeiter und 1.224 Patientenbetten. „Wir versuchen hier, eine sehr gute Balance zu halten zwischen Forschung, Lehre und Krankenversorgung“, erläuterte Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Holzgreve, MBA, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitäts¬klinikums Bonn, den Charakter des Gastgebers bei der Begrüßung der 40 cdgw-Mitglieder.

Nach dem Empfang im Foyer des Biomedizinischen Zentrums folgten Führungen in Kleingruppen durch das Notfallzentrum und das Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie. Und zumindest gedanklich mussten die Vertreter der Gesundheitswirtschaft beim „cdgw unterwegs“ noch viel weitergehen.

Über die Grenzen Europas hinaus, denn das Thema des Workshops „Akquise ausländischer Fachkräfte – Fallstricke und Erfolgsmodelle!“ ist ein weites Feld. Nicht nur geographisch, sondern auch qualitativ, sprachlich, kulturell und rechtlich.

Unterschiedliche Aspekte zu diesem Thema wurden von den Fachleuten auf dem Podium angesprochen. Wobei Gastgeber Alexander Pröbstl, Pflegedirektor und Mitglied des Vorstands am Universitätsklinikum Bonn, den Anfang machte: Da Pflegekräfte mit dreijähriger Ausbildung in Deutschland kaum mehr auf dem Markt seien, sahen die Bonner einen Lichtblick in Griechenland. In Kooperation mit dem Personal-Dienstleister Ranstad und mit Hilfe von Experten vor Ort, wurde der Markt sondiert. Mit dem Ergebnis: Allein in Athen waren etwa 8.000 arbeitslos gemeldete qualifizierte examinierte Pflegekräfte verfügbar.
 
Um die jungen Griechen in den deutschen Klinikalltag zu integrieren, schickte man sie dorthin, wo der größte Bedarf und die höchste Intensität der Betreuung bestehen: In der Eins-zu-Eins-Betreuung auf der Intensivstation lernten sie unter den Augen der verantwortlichen Pflegefachkraft. 

Parallel wurden die Sprache und die Pflegepraxis geschult, einerseits um die Fachsprache und andererseits um dabei auch den Kontakt zu den jungen Leuten zu vermitteln. „Starke Partner vor Ort“ seien sehr hilfreich, wirbt Alexander Pröbstl für eine gute Willkommenskultur: „Jeder junge Mensch muss jemanden an der Seite haben, der ihn betreut.“ Denn gemeinsam wurden bürokratische und rechtliche Hürden erfolgreich genommen. Durch den intensiven Einzelbetreuungsaspekt waren die 30 jungen Frauen und Männer nach drei Monaten handwerklich fit für den Klinikalltag. „Am Ende habe ich hervorragend qualifiziertes Personal hierher bekommen. In der Folge haben wir mindestens acht Intensivbetten eröffnen können“, zog Alexander Pröbstl Bilanz. „Es war also ein Erfolgskonzept.“

Künftig sollen die Pflegekräfte allerdings in ihrem Heimatland stärker vorqualifiziert werden. „Das ist ökonomischer.“ Was bleibt: „Das Learning-by-doing direkt am Patientenbett in der Eins-zu-eins-Betreuung ist meiner Meinung nach die beste Kompetenz. Damit haben wir eine hohe Pflegekompetenz erreichen können.“ Sämtliche Fachkräfte wurden in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen – übrigens befinden sich die ersten von ihnen bereits in einer Weiterqualifizierung. 

Vor dem Hintergrund mehrjähriger Erfahrungen sprach der frühere Klinikmanager und jetzige Geschäftsführer der Deutschen Medizin Allianz, Jörg Fischlein. Auf der Suche nach Fachärzten führte ihn der Weg nach Bulgarien, wo er vor Ort bald schon Ärzte für Deutschland interessieren und gewinnen konnte. Da viel mehr Ärzte als zunächst benötigt bereit waren, den Weg nach Deutschland zu gehen, entwickelte sich für das Unternehmen ein interessantes Geschäftsfeld. 

Mittlerweile rekrutiert die Medizin Allianz Fachärzte und Pflegekräfte aus verschiedenen EU-Ländern. Um die Abbruchrate von vornherein gering zu halten, steht vor einer endgültigen Entscheidung eine Vorbereitungsphase in Deutschland, die bei Krankenschwestern sechs Monate und bei Ärzten zwei Monate beträgt. Vor Ort werden sie weiter qualifiziert, u.a. in Sprachintensivkursen. „Wir bereiten die Menschen vor auf die Organisation, die Kultur, das Leben in Deutschland“, sagte Fischlein. Sobald die Teilnehmer die Schulungen durchlaufen haben, werden die Fachkräfte den Partner-Kliniken angeboten, um diese Leute in Festanstellung zu übernehmen.

„Das geht vom Hochschulabsolventen, der gerade sein Studium beendet hat, bis hin zum Facharzt.“

Zurzeit ist das Unternehmen in vier Ländern unterwegs: Spanien, Griechenland, Bulgarien und Rumänien. „Die Erfahrungen in jedem Land sind völlig andere.“ Sowohl was die Erwartungshaltung der Ärzte und Pflegekräfte als auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Deutschland betrifft. Um sich da anzunähern, müssten hierzulande Unterstützungen laufen, „bis ein ausländischer Arzt in Deutschland auf Betriebstemperatur ist“. Je kürzer der zeitliche Abstand zum Abschluss der Ausbildung ist, desto so besser sei das Ausbildungsniveau.

Dank guter Auswahl und Vorbereitung liegt die Ausfallquote ein Jahr nach der Einstellung bei etwa fünf Prozent. „Das ist für die Kliniken ganz akzeptabel“, schloss Jörg Fischlein seinen Beitrag. „Uns macht es eine Menge Spaß, weil wir sowohl für die Bewerber als auch für die Kliniken eine gute Situation ermöglichen können, mit der wir auch gut leben können und wollen.“

Wie es in der Altenbetreuung aussieht, berichtete Johannes Knake von den Alloheim Senioren-Residenzen, mit 70 Einrichtungen bundesweit fünftgrößter privater Anbieter im Bereich Altenpflege. Seit 2011 startete Alloheim verschiedene Projekte in mehreren Ländern. 

Den größten Erfolg brachte Rumänien. „Ein reines ‚Selfmade’-Projekt.“ Nach positiven Anfängen hat sich die Zusammenarbeit vor Ort stetig weiterentwickelt. Seitdem Rumänien im Januar 2014 Vollmitglied der EU wurde, „ist alles, was Visa und Arbeitserlaubnis betrifft,  natürlich viel einfacher“, berichtete Johannes Knake. Der rumänische Partner hat Kooperationen mit staatlichen Schulen ins Leben gerufen und rekrutiert dort Studenten. „Gerade die jüngeren Fachkräfte haben eine höhere Motivation, ein neues Leben in Deutschland zu beginnen und hier zu bleiben.“ 

Momentan hat Alloheim 25 bis 30 rumänische Fachkräfte in zehn Altenpflege-Einrichtungen verteilt. Einmal pro Woche gibt es einen gemeinsamen Telefon-Call mit allen Einrichtungen, bei dem man sich über aktuelle Entwicklungen austauscht oder auch einfache praktische Dinge bespricht. Mittlerweile gehören dazu auch Patenschaften in den Einrichtungen und Begrüßungspakete für die neuen Mitarbeiter. Auch dabei steht unterm Strich ein Erfolgsmodell: Seit dem Jahr 2011 sind 45 bis 50 Migranten in ein festes Anstellungsverhältnis übernommen worden. Damit geht für Johannes Knake die Rechnung voll auf. „Mit 45 Pflegekräften haben wir schon anderthalb Häuser komplett gefüllt.“

Als ausgewiesener Europaexperte ist Manfred Schneider von der BBJ Consult AG bekannt, doch in Bezug auf Akquise ausländischer Fachkräfte geht er noch weiter – nach Vietnam. 
Aus seiner Sicht geht es nicht um Projekte. „Was es vielmehr gilt zu organisieren ist Arbeitsmigration“, sagte Schneider. Gute Basis dafür sei die kulturelle Verständigung auf beiden Seiten.

Vor dem Hintergrund eines Modells des Bundesministeriums für Wirtschaft sind 100 Altenpfleger in Vietnam rekrutiert worden – allerdings mit beachtlichem Aufwand. Gesucht wurden fertig examinierte Krankenschwestern. Wobei ein wesentlicher Unterschied zu beachten ist: In einem vietnamesischen Krankenhaus kümmert sich die Krankenschwester nicht um die Pflege des Patienten, diese Aufgabe übernimmt dort traditionell die Familie. 

Um sich dem erforderlichen Standard anzupassen, lernten diese examinierten Fachkräfte zunächst die deutsche Sprache, reisten dann nach Deutschland und wurden in die Ausbildung integriert. Sie machten das Examen als Altenpfleger und kamen in Arbeit. „Der Ausfall ist verhältnismäßig gering gewesen“, berichtete Manfred Schneider. 

Die Organisation erfolgte über das vietnamesische Arbeitsministerium, denn jeder, der das Land verlässt, braucht ein Visum. Was übrigens bis zu 5.000 Dollar kosten kann. In der Konsequenz bedeutete das: Um in Deutschland zu arbeiten, war jeder einzelne bereit, sich persönlich tief zu verschulden. Positiv war sicherlich, dass viele Vietnamesen durch verwandtschaftliche Verbindungen bereits Anknüpfungspunkte in Deutschland hatten, so dass sie nicht ganz in die Fremde gingen und sich schnell sozial integrierten.

Damit die Kosten nicht ausufern, lehrten die ersten Erfahrungen, dass es durchaus ratsam ist, mit den vietnamesischen Institutionen in Partnerschaft zu gehen. Zum Beispiel, indem man ein College zur Ausbildung von Krankenschwestern als Partner gewinnt und in diese vietnamesische Ausbildung möglichst schon Elemente der deutschen Ausbildung implementiert. Gleichzeitig erfolgt die erste Sprachlektion. Die Menschen, die nach Deutschland kommen, haben dann das vietnamesische Examen und holen das deutsche nach. „Das hat auch praktische Gründe“, führte Manfred Schneider weiter aus. „Die Vietnamesen haben sich zu dieser Kooperation bereit erklärt, wissend, dass es hier nicht um Rückkehr geht, sondern um Migration.“ Denn die Verhältnisse in Vietnam sind andere. Der Bevölkerungsdurchschnitt ist dort 25 Jahre alt, und es drängen jedes Jahr bis zu 1,3 Millionen Menschen auf den Arbeitsmarkt, die dort nicht aufgenommen werden können. „Es ist die offizielle Politik dort, auch Arbeitsmigration zu betreiben.“

Um darauf in Deutschland die passende Antwort geben zu können, rät Schneider weniger zu Projektarbeit als vielmehr zu einer Personalstrategie. „Man braucht eine Struktur, die verlässlich Leute ,produziert’ und liefert, mit denen man verlässlich auch kalkulieren und arbeiten kann. Man muss die Straße öffnen, auf der die Migration fährt.“

Dieses Konzept will man in Rheinland-Pfalz in der Praxis testen. Denn die Rheinhessen-Fachklinik Alzey, Behandlungszentrum für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie, ist nicht nur die größte Arbeitgeberin in der Region zwischen Mainz und Kaiserslautern, sondern hat auch massive Probleme bei der Deckung des Fachkräftebedarfs. „Der Markt ist leergefegt“, erläuterte André Hennig von der Fachklinik Alzey. „Wir versuchen, einen neuen Weg zu gehen: nicht nur mit der Anwerbung, sondern auch mit der Qualifikation von jungen Vietnamesen zur Ausbildung in der Krankenpflege.“
 
Angeworben werden sollen Menschen, die am Ende ihres Studiums in Vietnam stehen, nachdem sie bereits in ihre Ausbildung Elemente aus Deutschland integriert und durch Sprachkurse Land und Leute näher kennen gelernt haben. „Das ist ein faires System“, findet André Hennig, „wenn die jungen Menschen einen vietnamesischen und einen deutschen Abschluss in der Tasche haben, um sie hier einzubinden.“
 
Aus seiner Sicht wäre von Beginn an eine zukunftsweisende Finanzierungsstruktur wichtig. Um diese Hürde zu nehmen, schlägt Hennig vor, Teile aus den Ausbildungsbudgets der Länder in diese vietnamesische Ausbildung zu investieren. Schließlich gebe es einen Spareffekt auf Seiten der Krankenhausträger, wenn  – durch das wegfallende erste und zweite Ausbildungsjahr – ein Drittel der Ausbildungsvergütung in Deutschland entfalle. 
Inhaltlich könnte in Vietnam die Ausbildung nach deutscher Arbeitsstruktur in Pflegelabors in der Praxis näher gebracht werden. Überprüft werden sollte auch, inwieweit man die vietnamesischen und rheinland-pfälzischen Kurrikula angleichen kann.

Jurist Thomas Puffe von der internationalen Wirtschaftskanzlei Beiten Burkhardt zeigte sich insbesondere von den Ausführungen zu den behördlichen Vorgängen „ein bisschen verwundert“. Er stellte klar: „Wenn man das rein Rechtliche sieht, sind die Berufsabschlüsse in der Ländern, die bis 2004 der EU beigetreten sind, gleichgestellt. Da braucht man gar nichts mehr zu prüfen. Hier ist mehr Freiheit gegeben –  vom Gesetzgeber, von Europa.“

Den Ausführungen auf dem Podium folgten Fragen aus dem Publikum. Wie können ausländische Fachkräfte in den Arbeitsalltag gut integriert werden? Dabei lenkte Alexander Pröbstl den Blick noch einmal auf das Patensystem und die gute Vorbereitung der Menschen in ihrem Heimatland. „Wenn diese beiden Faktoren zusammen kommen, funktioniert das Ganze auch“, sagte Pröbstl.

Das betonte auch Frank Eggert, Berater von Randstad Deutschland. Bei der Integration sei es zudem besser, in kleinen Gruppen vorzugehen. „Projekte sind immer dann gescheitert, wenn zu viel Quantität im Spiel war; das heißt: wenn zu viele Menschen auf den Stationen waren, die das Stammpersonal überlastet haben.“ Sehe der Stationskollege aber den Fortschritt, schreite der Prozess gut voran. „Eine spürbare Entwicklung der Mitarbeiter ist ein wichtiger Punkt.“ 

Zudem brach Eggert eine Lanze für die Behördenarbeit, die ebenfalls in einem Entwicklungsprozess sei. „In NRW ist die Lernkurve durchaus sichtbar. Die Amtszeiten liegen an den Stapeln, die noch abzuarbeiten sind. Der reine Prüfungsvorgang ist in einer halben Stunde erledigt.“

Mit Blick auf das Entwicklungspotenzial im Ausland liegen aus Sicht der handelnden Akteure Rumänien und Bulgarien hoch im Kurs. Wenn auch Vietnam in Bezug auf den demographische Entwicklung das größte Potenzial vorzuweisen hat, führt einigen der Weg in das elf Flugstunden entfernte Land deutlich zu weit. 

„Ihr geht in eine Sackgasse“, warnt Alexander Pröbstl. „Wir holen uns Leute ins Land, obwohl wir im europäischen Umfeld eine Vielzahl an Menschen haben, die arbeitsbereit sind. Deswegen glaube ich, sollten wir uns darauf konzentrieren, wo wir gut rechtliche Bedingungen haben, wo die Integration der Leute gelingt, weil sie ein bisschen was von dem europäischen Flair und der Lebensweise kennengelernt haben.“ 

Im Gegensatz dazu sieht Manfred Schneider bei den europäischen Ländern eine ganz andere Schwierigkeit: „Ich würde mich nicht so sehr darauf verlassen, dass es Arbeitsmigration, also eine Deckung des Bedarfs aus dem europäischen Potenzial alleine gibt.“ Drittländer seien in den Prozess durchaus einzukalkulieren. „Die Entwicklung in Arbeitsmigration ist eine Verteilung sozusagen des Wohlstands innerhalb der Märkte.“ Die Entwicklung sei nicht aufzuhalten. „Die Frage ist nur, wie gut man sie bei sich selber organisiert“, sagte Schneider. „Und wie gut wir tatsächlich selbst sind, um es zu einem produktiven Prozess zu machen.“

Die kontroverse Diskussion bot sicherlich eine gute Grundlage für einen weiteren interessanten Abend beim Abendessen im Hotel „Kameha Grand Bonn“.

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