cdgw-Workshop 2011
Man konnte es ahnen, aber sicher war es nicht: Als der cdgw den Berliner CDU-Politiker Mario Czaja zu seinem Workshop eingeladen hatte, stand weder fest, dass die Koalitionsverhandlungen zwischen der SPD und CDU in der Hauptstadt zu einem erfolgreichen Ende kommen, noch das Mario Czaja der neue Gesundheitssenator Berlins werden würde. Als die Nachricht dann am Abend vorher heraus war, konnten sich die cdgw-Mitglieder also auf den designierten Gesundheitssenator freuen und dann mit Mario Czaja auch über die Neuorientierung der Berliner Gesundheitspolitik sprechen.
Dass Czaja, noch nicht einmal im Amt, nun schon ein konkretes Arbeitsprogramm auf den Tisch legen würde, war natürlich nicht zu erwarten. Aber die Teilnehmer am Workshop bekamen schon einen guten Eindruck davon, welche Themen dem jungen Politiker am Herzen liegen und mit welchen Arbeits- und Konfliktfeldern er in seiner jetzt beginnenden Amtszeit konfrontiert werden wird.
Dabei machte Mario Czaja unter anderem deutlich, dass er ein Freund der Integrierten Versorgung ist und dass er sich zum Begriff der Gesundheitswirtschaft bekennt. Berlin, sagte Czaja, habe seit der Wiedervereinigung rund 200.000 Industriearbeitsplätze verloren und damit das Angebot halbiert. Wenn Berlin eine Chance für eine gute wirtschaftliche Entwicklung haben wolle, müsse die Stadt auf die Gesundheitswirtschaft setzen. Diese spiele dabei die wichtigste Rolle zur Stärkung Berlins. Dabei gelte es auch die Chancen, die Charité und Vivantes böten, zu nutzen. Und beide Unternehmen „sollen weiter der Stadt gehören“, unterstrich Mario Czaja.
Die Sozial- und Gesundheitsexpertin der Barmer GEK in Berlin, Claudia Korf, unterstrich, dass sich die Barmer intensiv damit beschäftige, wie sich die Kasse im Jahr 2020 im Markt bewegen werde: „Allerdings müssen wir mit auf dem Rücken gebundenen Händen operieren.“ Denn die Kassen seien hart budgetiert und rationiert. Eine entscheidende Frage laute daher: „Wo können wir in Zukunft in Leistungen und Service investieren, wenn wir alimentiert werden.“ Im Kassensektor stünden riesige Bewegungen bevor; die Veränderungsprozesse würden an Fahrt gewinnen.
Wenn die Politik nicht reagiere, sagte Claudia Korf, sei der Weg vorgezeichnet: von derzeit rund 150 zu bald nur noch 40 Krankenkassen. Dann entstehe ein Oligopol, und die Kollektivverträge gerieten unter Druck.
In der Gesundheitswirtschaft sieht Claudia Korf den „vitalen Motor“ im Gesundheitswesen. Gesundheitswesen sei dabei mehr als Gesundheitswirtschaft, denn es schließe den politischen Steuerungscharakter mit ein und beinhalte auch den Aspekt der Umverteilung. Der Gesundheitsbereich sei mittlerweile Job-Motor und Stabilisator der Wirtschaft und habe allen anderen Branchen den Rang abgelaufen. So mache zum Beispiel die Barmer GEK mehr Umsatz als die Lufthansa weltweit.
Zum Auftakt des Workshops hatte Tomas Pfänder die Essenz der Studie seines Unternehmens „Kliniken im Jahr 2015“ vorgestellt. Der Vorstandsvorsitzende der Unity AG erläuterte drei Szenarien, die dabei im Zentrum der Untersuchung gestanden hatten: das neoliberale, die Staatsmedizin und das gegenwärtige Modell „Freiheit im Korsett“. Als künftige Entwicklungen prognostiziert die Studie u. a. eine stärkere Ambulantisierung der Medizin, härtere staatliche Vorgaben für die medizinische Ergebnisqualität, aber auch höhere Freiheitsgrade der Anbieter, eine Veränderung im Kartellrecht zugunsten von Kooperationen in der Region und Selektivverträge als Nischenprodukte.
Zum Schluss fragte Tomas Pfänder: „Warum kann der Wandel gelingen?“ Weil der Mensch noch nie so viel Wissen über die Zukunft hatte, lautete dabei eine der Antworten.